Die Turbo-Digitalisierung: So ändert sich die digitale Szene 2020
Derzeit gibt es aufgrund der aktuellen Ereignisse dramatische Veränderungen in unserer Gesellschaft. Weil ich ursprünglich Historiker bin und es mir Spaß macht, Entwicklungen zu erkennen, zu analysieren und vielleicht auch ein wenig vorherzusehen, habe ich einmal für Dich ein wenig in die Glaskugel geschaut. Was ändert sich aktuell und wo geht die Reise hin? Komm mit mir auf ein Abenteuer in das digitale Leben in Deutschland nach Corona.
Disclaimer
Bei den folgenden Aussagen handelt es sich um meine persönliche Meinung und Einschätzung. Wenn Du eine andere Meinung hast, lass es mich gerne in den Kommentaren wissen!
Wirtschaft
Dass es bestimmten Berufszweigen gerade dramatisch schlecht geht, das ist Dir sicher bekannt und trivial. Wie aber sieht es im Detail in der digitalen Wirtschaft aus?
In der digitalen Wirtschaft beobachte ich mehrere parallele Entwicklungen:
- Bei Online Shops kommt es stark auf die Branche an, wie gut oder schlecht das Geschäft gerade läuft. Lebensmittel- und Gartenshops erlebten einen Riesenboom. Sämtliche Konsumprodukte, etwa Kleidung oder Unterhaltungselektronik, verkauften sich zu Beginn der Krise wahnsinnig schwer. Teilweise geht es jetzt aber richtig nach oben, denn während des Lockdowns haben mehr Menschen als bisher online eingekauft. Auch hartgesottene Offline-Kunden wurden teilweise zu Neukunden. Die bleiben nun und der Kundenstamm insgesamt ist bei allen Online Händlern gewachsen – so zumindest mein Eindruck. Zalando rechnet sogar mit einem großen Umsatzplus.
- Wer nicht so richtig digital war, der ist es spätestens jetzt. In München gibt es einen Bauern, bei dem man mittels Whatsapp bei einem Gemüse-Drive-In bestellen kann. Kluge Köpfe haben in der Corona-Krise ganz neue Geschäftszweige eröffnet. Das betrifft gar nicht so sehr große Konzerne, sondern Klein- und Kleinstunternehmen besonders.
- Grundsätzlich haben wir es gerade mit einer Turbo-Digitalisierung in vielen Bereichen zu tun. Viele Unternehmen wollen jetzt richtig mit Online-Marketing durchstarten. Das hängt teilweise auch damit zusammen, dass klassische Vertriebskanäle (1:1 Vertrieb und ganz besonders Messen) weggebrochen sind. Da probiert man das aus, was man noch nicht so intensiv bisher betrieben hat und bemerkt „Hey, Online-Marketing ist ja wirklich ein toller Kanal“.
- Viele digitale Unternehmen, denen es bereits vor der Krise nicht gut ging, weil sie nicht mehr auf der Höhe der Zeit waren, hat Corona vermeintlich den Todesstoß versetzt. Ich sehe mit Skepsis, dass vielen dieser Unternehmen mit staatlichen Mitteln ungeprüft geholfen wird. Hart zu sagen aber: Manche wären auch ohne Corona insolvent gegangen und werden nun durch Förderungen künstlich am Leben gehalten. Dass Unternehmen verschwinden ist schade, aber ganz normal und im Zuge der Corona-Krise gibt es eine große Bereinigung in vielen Branchen. Staatliche Hilfen soll es unbedingt für viele Unternehmen geben – aber vollkommen ohne Prüfung sollten die Gelder nicht mehr ausgezahlt werden.
- Zum Prüfen hatte keiner Zeit? Richtig – deswegen braucht es auch hier mehr Digitalisierung. Sollte eine ähnliche Krise erneut auftauchen, dann wird auch der Staat mehr vorbereitet sein, etwa durch automatisierte Freigaben und idealerweise Vorab-Evaluierung mittels K.I.. Jede Bank und viele Unternehmen machen das standardmäßig, auch der Staat braucht solche Prozesse.
Networking
Im März war ich auf der SEO Campixx, die kurz vor dem Lockdown stattfand. Ich war mir sehr unsicher gewesen, ob ich hinfahren sollte und viele alte Bekannte sah man dieses Jahr dort nicht. Meinen Vortrag hielt ich am ersten Tag – es gab bereits einige (aus heutiger Sicht eher banal wirkende) Regeln zur Vermeidung von Infektionen, aber für jeden dort waren sie zur damaligen Zeit sehr drastisch. Am Abend dann gab es die historische Rede der Kanzlerin und ich entschied spontan, meinen Flug am nächsten Tag vom Nachmittag auf den frühen Morgen umzubuchen. Ich hatte keine Angst vor Corona, nur vor dem Flugchaos, was es in Berlin gerne einmal gibt. Erst als ich in München gelandet war, erhielt ich die Nachricht, dass der zweite Tag der Campixx sowieso abgesagt worden war.
Da ich ein sehr häufiger Konferenzgänger und auch -Speaker bin, finde ich es sehr schade, dass hier gerade tote Hose herrscht. Natürlich ist es absolut verständlich. Nur: Wie geht es weiter? Derzeit sprießen digitale Konferenzen aus dem Boden wie Pilze. Webinare, Workshops und dergleichen werden von Konferenzveranstaltern und auch von Agenturen veranstaltet. Es sind tolle neue Formate dabei wie eine Online-Podiumsdiskussion beim OMT zum Thema Google Core Update mit Johannes Beus, Marco Janck, Olaf Kopp und Mario Jung (anhören!). Die Search Seekers sind ein interessantes neues Format der SMX München, das ziemlich schlau digital und offline kombiniert.
Leider vermute ich, dass Konferenzen auch langfristig erst einmal weniger besucht werden. Selbst, wenn es wieder erlaubt wird, dass man sie besucht: Digitale Konferenzen sind bequemer als persönliche, man wird hier auch langfristig nicht so viele Teilnehmer erreichen wie vor Corona. Das ist aber natürlich nur meine Einschätzung. Als Teilnehmer finde ich das gar nicht so schlecht – so kommt man mit den Leuten wieder mehr in Kontakt und vielleicht werden die Konferenzen dann wieder „nerdiger“. 🙂
Digitale Meetups werden hingegen schnell wieder verschwinden. Zusammen mit Konstantin Sarkar betreibe ich ja seit 11 Jahren die SEO Nomaden. Wir werden damit wieder beginnen, wenn die Zeit reif ist (und das auch in einer coolen neuen Location, die alles bisher Dagewesene toppen wird!). Wer sich aber mit Freunden schon zu einem Zoom-Meeting mit Bier getroffen hat, der weiß: So richtig super ist das nicht. Kleine Treffen von 20-40 Leuten sind „in echt“ einfach cooler.
Bürokultur
Mitte März ging es auch für alle Seokraten ins Home Office. Zwar war es bis dato auch problemlos möglich, dass man im Home Office arbeitet, wir waren ja auch von 2007-2010 in unserer Anfangszeit ein reines Home-Office-Team. Allerdings nutzten es zuletzt die meisten etwa einmal pro Monat, manche höchstens einmal pro Woche. Mittlerweile sind wir über zwei Monate nicht mehr richtig im Büro. Wir hatten zum Glück technisch bereits alle Voraussetzungen geschaffen und der Umstieg verlief fast reibungslos. Da ich so ein großartiges Team habe, gab es auch arbeitstechnisch kaum Probleme. Jeder macht seine Arbeit wie bisher, gefühlt haben Mitarbeiter in der Redaktion jetzt sogar mehr Ruhe zum konzentrierten Arbeiten. Auch ich kann bloggen und werde kaum gestört. 😉
Sicher wird es bald wieder so sein, dass unser Büro voller wird. Derzeit gibt es – mit Hygieneauflagen – die Möglichkeit dazu ins Büro zu gehen, aber wir zwingen niemanden. Es kommen ein paar Leute, meistens etwa ein Drittel – immer unterschiedliche Seokraten. Auch ich habe gemerkt: Es tut richtig gut, wenn man mal wieder andere Menschen sieht. Ich gehe davon aus, dass wir bald wieder mehr Leute im Büro sein werden – aber so wie früher wird es vermutlich nicht mehr. Manche Ereignisse verändern die Welt dauerhaft und sie ist hinterher eine andere. Home Office hat sich bei uns etabliert, zu Recht. Langfristig hält man es aber nicht nur im Home Office aus. Das ist zumindest mein Eindruck.
Was ändert sich?
- Home Office wird in Deutschland flächendeckend in den meisten Unternehmen möglich sein. Wer kein oder nur sehr beschränktes Home Office anbietet, der hat als Arbeitgeber kaum noch eine Chance.
- Remote arbeiten wird möglich, auch abseits von Tech-Startups. Wir suchen übrigens derzeit als Pilotprojekt einen Remote-SEA-Manager (neben anderen offenen Stellen!).
- Büros werden künftig weniger „Arbeitsplatz“ als vielmehr ein Treffpunkt für Teams sein. Stille, konzentrierte Arbeit wird man eher zu Hause abarbeiten, ins Büro kommt man für Meetings und um die Kollegen zu treffen.
- Grundsätzlich wird es mehr Home Office geben, aber es wird nicht so sein dass man nur noch im Home Office arbeitet. Das ist auf Dauer jedem zu langweilig und man vereinsamt.
- Digitale Meetings werden viele persönliche Meetings ersetzen. Schon alleine dadurch gab es auch einen Digitalisierungsschub. Microsoft Teams und Zoom sind nicht mehr aus dem Leben wegzudenken.
Noch eine große Veränderung wird sein: Es wird weniger geschäftlich gereist. Wenn ein gut gemachter Videocall auch funktioniert, werden Unternehmen ihre Mitarbeiter nicht mehr quer durchs Land (oder die Welt) schicken. Der persönliche Kontakt bleibt sicher wichtig, aber nur für das Pflegen von (Geschäfts-)beziehungen. Der klassische Außendienstvertriebler könnte künftig weniger unterwegs sein, aber das bleibt noch abzuwarten.
Online-Marketing
Mehr denn je wird Online-Marketing der Einstiegskanal schlechthin. Hier siehst Du die Suchanfragen nach „Shopify“
Shopify gilt als sehr einsteigerfreundlicher Online Shop, der vielen Kleinstunternehmern einen einfachen und schnellen Start in die Online Welt bietet. Dass genau diese Art von Shopsystem wächst, kam aus der Not heraus dass viele Kleinunternehmer eine schnelle, einfach zu konfigurierende Shoplösung gebraucht haben.
Was ich derzeit sehe, sind drei Entwicklungen:
- Manche Online-Unternehmen intensivieren ihre Marketingmaßnahmen. Das aber nur punktuell. Die meisten machen weiter wie bisher.
- Die letzten klassischen Unternehmen, die bisher noch nicht im Online-Marketing unterwegs waren, gehen nun auch richtig professionell an die Sache heran. Teilweise werden Messebudgets komplett in Online gesteckt, hier passiert eine Menge.
- Klein- und Kleinstunternehmen gehen teilweise mit echt guten Ideen in den Markt. So der Gemüse-Drive in (weiter oben erwähnt) oder die vielen neuen Services, die entstanden sind.
Es kommen also noch mehr Player in den Markt. Große Unternehmen, die bisher nicht digital waren und ganz kleine Unternehmen.
Beispiele für neue Märkte im Online-Marketing
- Der Gemüseverkauf von nebenan bietet einen Lieferdienst an. Bestellt wird per Whatsapp, ohne Website. Werbung wird via Facebook und Google Ads gemacht.
- Ein lokales Uhrengeschäft wird künftig Google Ads schalten. War es bisher nur die Ausnahme, wird es 2020 die Regel.
- Viele lokale Unternehmen werden auch digital verfügbar sein, so wird auch eine Modeboutique künftig (beispielsweise mit Shopify) Kleidung verkaufen.
Welche Kanäle wachsen derzeit am meisten?
- Paid Ads: Kurzfristige Anpassungen des Geschäftsmodells sowie die Erschließung neuer Märkte kann man am schnellsten mit Paid Ads steuern. Auch kleine, lokale Unternehmen werden künftig stark auf regionale Paid Ads setzen.
- Webinare waren gefragter denn je. Die Suchanfragen für Webinare waren zeitweise 5x höher als vor der Krise. Viele Unternehmen haben darauf reagiert und auch Webinare angeboten. Leider flacht das Interesse derzeit wieder stark ab – hier sollten Unternehmen ständig prüfen, ob sich Webinare weiterhin lohnen.
- Leadgenerierung ist eigentlich kein Kanal, aber in diesem Feld wird das Interesse und werden auch die Bemühungen künftig dauerhaft höher sein als zuvor. Denn auch die letzten „klassischen“ Unternehmen steigen 2020 in den Markt ein.
- Grundsätzlich wird jeder Online-Marketing-Kanal wachsen – nur eben mit etwas Verzögerung. Die schnell zu aktivierenden Kanäle waren zuerst dran, die langfristiger ausgelegten (etwa SEO) kommen später.
Die wichtigsten Kernaussagen im Überblick
- Der Online Markt wächst 2020 und wird weiter an Fahrt aufnehmen. Die Digitalisierung hat den Turbo eingeschaltet!
- Networking, Konferenzen, Webinare: Hier ist viel Bewegung drin. Es wird sich in den kommenden Monaten viel ändern.
- Home Office wird großflächig etabliert, aber das klassische Büro nicht ersetzen. Das Büro wird zum „Meeting-Point“
- Jeder Online-Marketing-Kanal wird 2020 stark wachsen. Paid Ads sind als Erstes dran, der Rest wird gegen Ende des Jahres spätestens nachziehen.
So viel zu meiner persönlichen Einschätzung, wohin die Reise im digitalen Marketing 2020 geht. Was ist Deine Einschätzung?
Titelbild: Ronny Gäbler / Gettyimages.de
„Networking, Konferenzen, Webinare: Hier ist viel Bewegung drin. Es wird sich in den kommenden Monaten viel ändern.“
Das ist ein spannender Punkt. Ende März gab es hier, wie du geschrieben hast, einen echten Boom, alles verlagerte sich ins digitale. Ende Mai zeigen die Daten eine Art analogen Gegentrend – bis auf die Konferenzen natürlich und im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen. Ich denke, dass sich dies im weiteren Verlauf von 2020 in der Mitte – auf einem im Vergleich zu früheren Jahren – weitaus höherem Mittelwert einpendelt.
Digitale Meetings werden aber nie den persönlichen Kontakt gänzlich ersetzen, das ist einfach etwas anderes und man sollte jeden Geschäftspartner, mit dem man länger und intensiver zusammenarbeitet, auch mal persönlich kennen gelernt haben.